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Erfahrungsbericht

von Torsten aus Regensburg

Ich bin auf diese Homepage durch einen Fernsehbericht (auf RTL glaube ich) gestoßen, habe sie durchgeschmökert und einige interessante Geschichten von Menschen gelesen die "wirklich" von Tourette betroffen sind! Was dieses ironische "wirklich" soll? Naja, in meinem Fall ist Tourette zwar vorhanden, jedoch in relativ schwacher Form, deshalb finde ich es, denen die wirklich unter dem Syndrom leiden gegenüber nicht ganz fair mich als Touretter zu bezeichnen!

Wieso ich überhaupt schreibe fragt ihr?

Ich habe auf www.tourette.de Geschichten gelesen in denen Menschen durch diese Krankheit an den Rand ihrer psychischen und physischen Kräfte gebracht wurden, ob jung oder alt. Was mir ein wenig fehlt sind die Geschichten derer, die von der Krankheit zwar betroffen, aber nicht durch sie eingeschränkt sind. Und da ich mich zur deren Gruppe zähle habe ich mir gedacht ich schreibe euch mal die Geschichte meines "Krankheitsverlaufs". Ich denke viele Besucher dieser Seite sind (sicher) zu Recht schockiert von dem Ausmaß die das Syndrom annehmen kann, aber viele sehen deshalb nur die offensichtlichen Auswirkungen von Tourette. Was aber ist mit den kleinen Problemen, von denen meist nur der Betroffene selbst etwas ahnt?

Der langen Vorrede kurzer Sinn, hier Vorab einige Details zu mir und meinem Krankenbild: Ich bin inzwischen 20 Jahre alt/jung, fertig mit 11 Monaten Bundeswehr und auf dem besten Weg zu studieren. Begonnen hat mein Tourette-Leiden mit ca. 4 oder 5 Jahren. Wann genau ist weder von mir noch von meinen Eltern genau nachvollziehbar! Begonnen hat alles ( wie wohl bei den meisten ) mit Augenzwinkern und ­rollen, innerhalb der nächsten 4-5 Jahre kamen dann leichte verbale Tics hinzu ( Grunzlaute, Piepslaute, Räuspern ). Anfangs konnten meine Eltern natürlich wenig damit anfangen, was des Öfteren zu kleineren Diskussionen und Auseinandersetzungen geführt hat, aber als die Tics sich verstärkten war ihnen klar dass es damit eine andere Bewandtnis haben musste als kindisches Betragen. Mit etwa 12 Jahren wurde an der Uni Regensburg deshalb eine erste "richtige" Untersuchung durchgeführt.

"8 Jahre zwischen Auftreten und Untersuchung !?!" ­ mögen sich viele jetzt zu Recht wundern! Das Problem liegt einfach darin, dass normale Hausärzte sich mit dem Gebiet Tourette einfach nicht auskennen ­ korrigiere, es nicht KENNEN ­ darum konnte keiner eine klare Diagnose machen oder uns an einen geeigneten Arzt vermitteln. Auf jeden Fall wurde an besagter Uni eine mehrtägige Untersuchung mit Intelligenztest, Gehirnstrommessungen, Psychoanalyse und Nerven-Tests durchgeführt, mit dem Ergebnis dass ich wohl unter "Tics" leide. Keine Spur von Tourette oder Behandlungsarten! Im nächsten Jahr wurde ein Neurologe aufgesucht, der zwar nach mehrstündiger Untersuchung auch nicht viel Neues erzählen konnte, von dem wir allerdings auf die Formen von autogenem Training hingewiesen wurden. Er hatte zwar Vorschläge zur medikamentösen Behandlung der Tics, doch aufgrund der psychischen Belastung haben meine Eltern und der behandelnde Arzt damals diese Medikamente abgelehnt ( Zurecht wie ich heute sagen würde, denn gerade am Beginn der Pubertät kann ein Kind wohl kaum noch zusätzlich mit Depressionen, hervorgerufen durch Medikamente klarkommen. Außerdem waren meine Tics ja nie belastend, sondern einfach nur störend für mich selbst! ). Von diesem Zeitpunkt an war die Behandlung praktisch auf Eis gelegt. Meine Tics haben sich bis zu meinem 17. Lebensjahr stabilisiert und teilweise zurückgebildet. Verbale Tics waren inzwischen vereinzelt und ich konnte sie so weit kontrollieren dass sie für andere nahezu nicht mehr wahrnehmbar waren. Einige motorische Tics haben sich allerdings auch neu gebildet, so z.B. das Finger spreizen oder Halsmuskeln anspannen. Ich für meinen Teil kann aber sagen dass bei mir IMMER das Blinzeln der zentrale Punkt im Tourette Leiden war. Ganz einfach aus dem Grund weil man es immer bemerkt und immer versucht zu unterdrücken. Das nervige daran ist dass es auf andere einen seltsamen Eindruck macht wenn man alle 5 Sekunden 10x blinzelt. Dieser Tic ist der einzige, den ich nie zu kontollieren geschafft habe, und der als einziger Auswirkungen auf mein soziales Umfeld hatte. Dadurch war ich oft in größeren Menschenmengen unruhig, weil der Tic immer dann besonders stark auftrat. Für mich war das Blinzeln immer die Skala an der ich die derzeitige Stärke des Leidens gemessen habe. Das lästige daran ist, das Andere völlig unterschiedlich auf die Krankheit reagieren: Die Einen ( meiner Meinung nach die Angenehmsten ) fragen gleich nach kurzer Zeit was es mit "dem Blinzeln" auf Sich hat. In diesem Fall kann man eine Erklärung abgeben und es wird meist als abgeschlossenes Thema behandelt. Andere versuchen die Sache zu ignorieren, tun dies aber so auffällig dass man jeden Moment mit der entscheidenden/erlösenden Frage rechnet, sie aber nie gestellt bekommt. Die letzte "Gruppe" reagiert geradezu aggressiv auf das Augenzwinkern. Gott sei Dank sind dies nur extrem wenige, andererseits sind es dann auch fast immer Leute mit denen man sowieso nichts zu tun haben will. Ich persönlich hatte unter Hänseleien nur bedingt zu leiden, meist in Form von dummen Kommentaren im Grundschulalter, aber nichts was nicht auch jeder Übergewichtige zu hören bekommt. Mit zunehmendem Alter habe die Anfeindungen fast aufgehört, im Freundeskreis spielt die Krankheit so oder so keine Rolle. Was wohl jeder Tourette Kranke kennt und zu hassen gelernt hat ist die Auswirkung der Krankheit auf das "Beziehungsleben". Ich für meinen Teil habe heute noch immer Schwierigkeiten ein Mädchen unverkrampft anzureden weil die Frage immer im Hintergrund schwebt wie sie auf das Blinzeln reagiert. Welcher Jugendliche will schon gern "einen Korb" bekommen, besonders dann wenn er merkt dass es an eben dieser lästigen Äußerlichkeit liegt. Freunde finden, selbst mit leichtem Tourette ist absolut nie ein Problem für mich gewesen, eine Freundin ist da aber eine gänzlich andere Sache. Leider habe ich keine Ahnung ob man diesen Sachverhalt als Nicht-Betroffener verstehen kann, aber es ist einfach so dass man als Betroffener sehr schnell ein Gespür dafür bekommt ob jemand einfach so nichts mit einem zu tun haben will, oder ob er schlicht und ergreifend durch das Tourette abgeschreckt wird. Und wenn Letzteres der Fall ist fällt man sehr schnell in ein kleines Depri-Loch aus dem man sich erst mal herausarbeiten muss. Ich will an dieser Stelle niemandem den Vorwurf machen er verhalte sich Tourette-Kranken gegenüber intolerant , denn wir neigen nun mal alle dazu Fremdes zu kritisieren. Problem Nummer eins ist und bleibt meines Erachtens die Unbekanntheit der Erkrankung und die (Gott sei Dank) geringe Verbreitung. Inzwischen habe ich mehrere Leute angesprochen, die ebenfalls Tourette Erscheinungen hatten und nach 15-minütigem Gespräch war klar dass sie auch bereits seit Jahren von Tourette oder Tourette-Ähnlichen Erscheinungen geplagt und genervt waren, dass ihnen aber niemand sagen konnte was eigentlich mit ihnen los ist.

An dieser Stelle fällt mir ein dass ich noch nicht erwähnt habe wie ich überhaupt auf das Tourette Syndrom gestoßen bin. Denn erst im Alter von 18 Jahren wurde ich durch eben diese, oben erwähnte, TV-Reportage auf Tourette aufmerksam gemacht. Ich habe auf ihrer und vielen anderen Webpages und in Zeitungen, Magazinen und Reportagen Informationen über die Krankheit gesammelt. Eigentlich traurig dass man in einem höchstentwickelten Land wie Deutschland durch Selbstdiagnose (inzwischen medizinisch bestätigt!) auf den Grund für ein 14 Jahre altes Leiden stoßen muss! Mag sein dass sich viele Ärzte inzwischen auf Tourette spezialisiert haben, aber den üblichen Hausärzten ist meiner Erfahrung nach die Krankheit unbekannt. Vielleicht sollte man hier den Hebel ansetzen. Keine Angst, ich werde jetzt nicht zu Revolten gegen das deutsche Medizinsystem aufrufen, ich wollte das nur loswerden.

Um zu einem Ende zu kommen: Ich komme inzwischen mit meiner eigenen kleinen Art des Tourette-Syndroms klar, d.h. für mich ich habe es hassen aber auch akzeptieren gelernt. Auswirkungen auf meinen Alltag hat es nicht. Ich betreibe Leistungssport, gehe gern Abends weg und bin auch sonst (fast langweilig) gewöhnlich. Ich würde nicht behaupten dass ich unter Tourette leide, fakt ist, ich bin nur tierisch genervt davon. Bisher habe ich keine Behandlung diesbezüglich angefangen, das wird sich aber in den nächsten Monaten ändern. Da es zwar viele Medikamente aber auch viele hässliche Nebenwirkungen gibt weiß ich noch nicht welchen Pfad der Behandlung ich einschlagen werde, aber ich hoffe, für mich und alle anderen, dass bald ein Mittel gefunden wird mit dessen Hilfe sich Tourette besänftigen oder sogar abschalten lässt!

In diesem Sinne: Ich hoffe sie können mit meinem Bericht etwas anfangen, vielleicht finde ich ja Teile davon bald online auf www.Tourette.de wieder. Noch mal Respekt an alle die mir weit härteren Formen des Sydroms klarkommen, keep fighting!